NZ/HA/LOKAL/LOKAL1 - Mo 12.09.2005 NÜRNBERG

Am besten werden die Radrennfahrer am Wöhrder See angefeuert
Die Fans aus der Krachmacherstraße

Gut wird ein Radrennen erst durch gute Zuschauer. 150 000 sollen gestern an der Strecke erschienen sein, melden die städtischen Organisatoren. Die Zahl mag zu hoch hängen. Fest steht: Dieses Publikum unterstützte die »Jedermann«-Radler, Profi-Frauen und -Männer mit freundlichem Beifall. Aber wie gewohnt gab es nur ein wahres »Stimmungsnest«: die Freytagstraße.

Es muss sich nur irgendetwas bewegen. Ein wachhabender Polizist muss die Straßenseite wechseln. Ein Spaziergänger mit Hund muss nichtsahnend ums Eck biegen. Oder natürlich: Die Radler kommen. Dann kann in der Freytagstraße am Nordufer des Wöhrder Sees vorübergehend niemand sein eigenes Wort verstehen. Die Nachbarn und Freunde, die hier die Gehsteige säumen, schwingen ihre Holzratschen, grölen, schlagen auf Töpfe, lassen aus der Hocke La-Ola-Wellen aufsteigen. Vielleicht sind es hundert - sie klingen wie tausend. Es ist der Radrennen-Sonntag. Da bejubeln sie einen halben Tag lang alles, was ihren schlecht geflickten Asphalt betritt.

»Wir sind der Lärm«, sagt Hans Amos von Hausnummer elf. »Weil es uns Spaß macht.« Der Werbegrafiker ist einer der Erfinder des Freytagstraßen-Klatschclubs. Mit einem Ehepaar aus dem Nebenhaus neun, inzwischen weggezogen, beschloss er 2002: Wenn diese welterfahrenen Sportler schon den Weg über eine schwierige Z-Kurve durch unsere Wohnstraße wählen, müssen wir etwas für sie tun. »Der Mensch blüht auf bei Applaus«, meint dieses Ehepaar, Roman und Renate Kubli. »Aber es ist auch . . .«

Nummer 212 lächelt erschöpft

Jetzt können sie nicht weitersprechen, weil sie Lärm machen müssen, um die abgehängte 212-Radfahrerin anzufeuern. Wer sie ist, wie sie im Rennen liegt - die Straße hat keine Ahnung, weiß nur, dass sie alles geben muss. Wenn das Männer-Hauptfeld vorbeisirrt, erkennen manche mit Mühe den Ullrich. Die angespornte Frau Nummer 212 lächelt erschöpft zurück. »Es ist auch Stress«, wollten die Kublis sagen. Am Abend sind sie heiser und handlahm. Aber glücklich. Denn die Begleitfahrzeuge und Krankenwagen, die so euphorisch begrüßt werden wie die Sportler, antworten meist freundlich mit Gehupe, Geblinke, Armschwenken der Fahrer.

Im ersten Jahr bestand die Aktion fast nur aus Jubel. Mittlerweile gehören Freiluft-Buffets dazu. Zäune werden mit Luftballons behängt, Suppen, Kuchen, Antipasti werden serviert, Bekanntschaften werden geknüpft. Zum zweiten Mal hat eine Anwohnerin aus der Riehlstraße ums Eck ihre Trommelgruppe »Alma do Samba« einbestellt. Zum ersten Mal hat sich das italienische Lokal angeschlossen, verkauft Pizzastücke und Prosecco.

»Ich würde mir ja nur mal wünschen«, sagt Renate Kubli, »dass so Profi-Fahrer absteigen und zu uns sagen: ,Klasse, dass ihr da seid!'« Immerhin reißen in der übernächsten Runde im Männer-Hauptfeld zwei Fahrer die Arme zum Gruß in die Luft. Dann kommt auch noch der Rennorganisator der Stadtverwaltung vorbei und kündigt an, dass dieses »Stimmungsnest« wohl heuer mit einem Geldpreis bedacht wird. Die Freytagstraße jubelt noch lauter und tut so, als ob es nicht regnen würde. isa